Saturday, May 26, 2007

der grosse showdown

wir kennen sie alle - die grossen momente im leben, in denen ein lebensabschnitt beendet wird und ein neuer beginnt. die magisterwerdung gehoert fraglos dazu. auch bei uns werden ihr gebuehrend nervenanspannungen geopfert, bis alles in einem grossen fest muendet. in aegypten gibt es dies alles in orientalischer ueppigkeit an einem tag.

nauterlich wird auch hier entsprechend vorgearbeitet. es wird eine arbeit geschrieben. die germanistInnen muessen das auf deutsch tun und dabei sowohl ihren bis dahin kaum praktizierten umgang mit wissenschaftlichen arbeitstechniken erproben als auch ihre sprache auf ein ganz anderes niveau bringen. für viele ist die magisterarbeit die erste ernstzunehmende wissenschaftliche arbeit, die sie verfassen. klar, dass sich die kandidatInnen hilfe holen, wo sie koennen. viel gibt es leider hierzulande aber auch nicht zu holen. die aegyptischen profs sind sehr beschaeftigt und die auslands-lektorInnen haben auch nicht fuer alle zeit. so wird meist nach dem trial-and-error-prinzip geschrieben, abgegeben, zurueckgeworfen, mehr oder weniger korrigiert wieder abgegeben, zurueckgewiesen, tränen fließen, noch einmal wird versucht...

irgendwann ist es dann so weit: die arbeit ist fertig genug, dass es einen termin fuer die "verteidigung" gibt. der magister-vater und die 2 gutachterInnen erhalten je eine kopie der arbeit und machen sich ans produzieren von vortraegen, raeume werden angemietet, die familie wird eingeladen, der countdown läuft.

dienstag, 7 uhr morgens, bahnhof giza. drei menschen im halbschlaf treffen einander: der leiter der deutschabteilung von al minia, ein DAAD-lektor und die österreichlektorin. sie besteigen den zug und treffen den doktorvater, eine der grauen eminenzen der hiesigen germanistik. die ägyptischen profs schlafen, die europäischen mitreisenden versenken sich in je eine magisterarbeit. es soll ja auch im herbst wieder verteidigungen geben können.

3 1/2 stunden spaeter, bahnhof al minia: 2 autos warten auf die ankommenden. es ist schon schön warm... wir fahren zur uni. dort werden wir feierlich von der dekanin der sprachenfakultät empfangen. das heisst: sie kommt sogar hinter ihrem schreibtisch hervor und setzt sich zwischen uns. diverse andere menschen sitzen auch herum, einer davon ist der vater der kandidatin. dass die dekanin nicht hinter dem schreibtisch sitzt, haelt sie keineswegs davon ab, ihrem tagesgeschaeft nachzugehen. wir bestellen und bekommen tee und kaffee, ich führe schmäh mit dem mann, der die getränke serviert, mit anderen hereinkommenden, man steht auf, setzt sich hin und woandershin. der kaffee ist längst ausgetrunken, wir sitzen und setzen uns um und tauschen höflichkeiten aus. der deutsche lektor würde gern mit der verteidigung beginnen. aber in minia herrscht nochmals ein anderes zeitgefühl als in kairo. ich weiss das zwar, (er wohl auch) aber ich werde mich auch nie wirklich dran gewöhnen...

irgendwann findet doch ein aufbruch aus dem zimmer der dekanin statt. geht es nun an die verteidigung? nein, natuerlich nicht. wir müssen erst im zimmer des abteilungsleiters frühstücken. es gibt feine tortenstücke und/oder salziges. die familie der kandidatin lässt sich nicht lumpen. es wird wieder mehrmals zum aufbruch gemahnt, aber nun gibt der abteilungsleiter alle unterschriften, ratschläge und anweisungen für den rest der woche. menschen kommen und gehen, ich schleiche mich raus und rauche eine zigarrette, der kollege vom daad liest im handbuch "deutsch als fremdsprache". wie immer geht es dann los, als es so aussieht, als würde heute gar nichts mehr passieren.

mit mehreren autos, in denen es mindestens 50 grad hat, fahren wir die 100 meter zum suzanne-mubarak-gebäude. dort ist ein raum für die "munaqasha risalat magister" (magisterarbeitsdiskussion) reserviert. anwesend: rund 20 familienmitglieder, knapp 10 assistentInnen, einige studentInnen und etliche honoratiorInnen. der raum ist klimaanlagengekuehlt, gott sei dank.

die kandidatin zieht sich das verteidigungsgewand, einen schwarz-roten umhang, über. die professoren verschwinden und tun desgleichen, nur sind ihre gewänder schwarz-grün. dann folgt eine längliche begrüßung durch den doktorvater auf arabisch, bei der der ganze lebenslauf der kandidatin (vom kindergarten bis zum zeitpunkt der verteidigung) abgehandelt wird. dann darf die kandidatin über ihre arbeit sprechen.

sie hat über franz fühmann geschreiben und ich verdanke ihr, diesen autor bzw. sein buch "22 tage doer die hälfte des lebens", das den forschungsgegenstand darstellt, kennengelernt zu haben. die kandidatin und ich haben 2 jahre lang zusammen unterrichtet, daneben und danach haben wir fühmann diskutiert. es war eine freude mit ihr zu diskutieren, weil sie interessante ideen hatte und ein schönes gefühl für die deutsche sprache und einen guten literaturwissenschaftlichen instinkt besitzt. es war trotzdem anstrengend. jetzt ist nichts mehr anstrengend, ich kann gemütlich zuhören und mich daran freuen, wie gut sie formulieren kann.

danach sind die plädoyers der gutachter an der reihe. denen hat die arbeit natürlich auch gefallen, aber sie müssen auch kritik üben, das schreibt ihre rolle vor. dazwischen wird ein bisserl über einen lieblingsgedanken philosophiert, und am ende wird die annahme der arbeit als magisterarbeit empfohlen. all dies muss 15-20 minuten dauern und sollte beweisen, dass die arbeit gründlich gelesen und sorgfältig bewertet wurde. dann ist der magister-vater am wort. er spricht natürlich nur gutes über die arbeit, denn er hat sie ja betreut (oder hätte das jedenfalls tun sollen). und auch er philosophiert ein wenig über dies und jenes - meistens über literatur- oder kulturhistorische querbezüge, die die kandidatin nicht kennen kann, auch nicht kennen muss. hier soll nur gezeigt werden: egal wie gut die gerade gebacken werdende magistra gearbeitet hat, so gut wie ein prof ist sie natürlich noch lange nicht.

am ende darf die kandidatin noch etwas sagen, wenn sie will. sich verteidigen. meistens schlägt man ihr vor, das nicht zu tun, viele sind auch nicht sehr interessiert. diese kandidatin antwortet lebhaft, so dass man sehen kann, wie stolz sie auf die arbeit ist und wie wichtig sie jede einzelne fussnote nimmt.

die familie hat nun fast eineinhalb stunden einer deutschsprachigen diskussion zugehört. die professoren ziehen sich zur beratung zurück. erfrischungen werden gereicht. auf mich stürzt sich ein weiterer potentieller magisterkandidat und ich sehe das grinsen der heutigen kandidatin, als sie mitkriegt, wie ich ihn mit fast missionarischem eifer beschwöre, sein thema nicht zu weit zu fassen.

neuerliche versammlung im saal. das urteil wird im stehen angehört: magistra mit auszeichnung. alf mahbruuk! herzlichen glückwunsch! 20 weitere minuten vergehen mit glückwünschen und fotos in den verschiedensten personellen zusammensetzungen. als wir endlich zum essen gehen könnten, hat der professor vom daad gerade diesen beschwörenden ton drauf, den ich in der pause verwendet hatte: "sie müssen genauer wissen, was sie wollen!" eine andere hoffnungsvolle kandidatin, soviel ich weiss, für den doktorgrad, hat ihn um rat und hilfe gefragt. weil er netter ist als ich, gibt er seine e-mail-adresse her. er bleibt auch noch ein jahr als lektor in kairo.

genug der trockenen materie, jetzt geht es ans festessen: es hat wohl schon über 50 grad in den autos, obwohl sie im schatten geparkt waren. wir schieben uns zwischen dem stärksten verkehr des tages an der corniche entlang, fahren über die nilbrücke nach neu-minia und betreten den militärclub am ufer des nils. eine weiträumige, luxuriöse anlage, durch die wir nur in der gnadenlosen frühnachmittagssonne zum restaurant schreiten.

dort wird in der lobby gewartet. ich warte am dringendsten auf meinen abteilungsleiter, denn er hat noch zigarretten, ich aber nicht mehr. er kommt aber wirklich erst knapp vor dem essen. zum essen bekommen die honoratioren (die verteidigungs-profs) einen eigenen tisch, an den sie wie präsidiumsmitglieder nebeneinander sitzen. sonst ist wenig hierarchische einteilung zu bemerken, dafür geschlechtertrennung: es gibt frauen- und männertische. ich sitze mit der mutter der kandidatin und der kandidatin selbst. es wird gegessen, reichlich und vom besten, denn es ist ein festtag. will jemand wirklich das besteck weglegen, wird er nachdrücklich aufgefordert, noch ein bisserl zu essen. ich lasse trotz allem ein paar stückchen kebab über, weil ich sonst die ausgezeichnete crème caramel nicht mehr vernaschen könnte, und um die wär es wirklich schade gewesen.

plötzlich springt mein abteilungsleiter auf. da wir den gleichen zug gebucht haben, springe auch ich und verabschiede mich hastig. ich finde ihn in der lobby wieder, wo er jede menge titelblätter der soeben verteidigten magisterarbeit unterschreibt. 10 minuten vor abfahrt des zuges fahren wir dann wirklich los, und sind tatsächlich noch vor der offiziellen abfahrtszeit am bahnhof. der zug hat glücklicherweise auch nur wenig verspätung, sodass wir um 1/2 9 uhr abends wieder in kairo sind.

es ist immer noch heiss, aber nicht mehr so sehr. ich stelle mich unter die dusche und nicke dann über einem buch ein, bevor meine haare noch ganz trocken sind.

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