Wednesday, January 30, 2013

Selbstbilder und Fremdbilder der Kulturen


Selbstbilder und Fremdbilder der Kulturen
(veröffentlicht 2007)
Interkultureller Dialog und (Kultur-)Kommunikation sind davon mitbestimmt und bestimmen es immer wieder neu: Das Bild, das eine Kultur von sich selbst hat, das vielfach einem Identifikationsmuster gleichkommt und damit auch Identität bedeutet, und das Fremdbild, das Image einer Kultur, das Bild also, dass sich die anderen von ihr machen.

National- und andere Kulturen
Was aber ist Kultur, was kulturelle Identität? Zu einfach wäre es, Kulturen nur als Nationalkulturen zu betrachten, dennoch ist gerade das Konzept der Nationalkultur identitätsstiftend.
Üblicherweise steht nationale Identität für einen Grundkonsens, eine kulturelle Homogenisierung etwa durch eine Nationalsprache oder -religion. Nationalkulturen streben Deckungsgleichheit für Kultur und Staatswesen an. Nationalkulturen versuchen, auch verschiedenartigste Mitglieder einer Gemeinschaft als Angehörige desselben Kulturkreises zu präsentieren. Damit kann man ein Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen, darin liegt aber auch die Gefahr einer Grenzziehung durch Kultur, einer Ausgrenzung des Fremden.
Wenn man versucht, die Kulturdefinitionen auf größere Räume als eine Nation anzuwenden, ergeben sich eine Reihe von positiven Möglichkeiten und Utopien, aber manchmal auch schiefe, unhaltbare Gegenüberstellungen wie „Der Islam und der Westen“ – als gäbe es im Westen keinen Islam (und im Osten keine anderen religiösen Gruppen).

Multiple Identitäten
Multiple Identitäten schließen eine nationale Identität ein. So schreiben die AutorInnen einer im Oktober 1996 veröffentlichten Studie zur Demographie der Europäischen Identität in der Einleitung:
“Contrary to common belief, the development of a European identity does not have to be accompanied by the decline of a national identity. Rather, European integration has established a new context that people can identify with and hence, opens up the possibility of multiple identities.”
Insgesamt identifizieren sich in Europa immer mehr Menschen sowohl mit ihrer Nation als auch als EuropäerInnen. Sie gehören zusätzlich verschiedenen Religionen an, definieren sich vielleicht außerdem noch als Intellektuelle oder haben einen Freundeskreis, der zu einem Gutteil aus Internet-Bekanntschaften aus aller Welt besteht. Auch eine solche „Community“ schafft sich ihre kulturellen Zugehörigkeiten und stellt einen Teil der Identität des Individuums dar.
Der arabische Raum wird einerseits durch die Sprache und andererseits durch die islamische Kultur geeint. Dennoch gibt es auch andere religiöse Kulturen, und das Selbstbild der Ägypter ist – anders als das vieler anderer arabischer Länder -wesentlich stärker durch Kultur geprägt als durch Wirtschaft.

Selbstbilder, Identität, Mythen
Das Thema Identität, das durch das Selbstbild bestimmt wird, lässt sich wieder am leichtesten anhand der Nationalkulturen betrachten – anhand von Österreich und Ägypten als Beispiel.
Durch den „Habsburgischen Mythos“ (die Habsburgermonarchie war ein multikultureller Vielvölkerstaat) hat Österreich vielleicht einen Startvorteil, wenn es ums Denken in multiplen Identitäten geht. Da Österreich und die ÖsterreicherInnen schon immer gut darin waren, Widersprüche auszuhalten, gibt es zusätzlich aber etwas wie eine Mentalität des „Mir san Mir“ (hochdeutsch: „Wir sind wir“), die sich weniger gut erklären lässt und österreichische Weltbürger und Intellektuelle manchmal etwas weniger stolz auf sein Land sein lässt.
Auch die ägyptische Identität stützt sich (wie jede Identität) auf eine Reihe von Mythen. Die pharaonische Kultur, die Ägypten als „Mutter der Welt“ mitbestimmt, fehlt in keinem Reiseprospekt und kaum je in Statements zur Nationalkultur. Auch Religiosität (nicht nur islamische, sondern auch christliche!) und ein starkes Beharren auf Traditionen sind für ÄgypterInnen Elemente, die wichtig für ihre kulturelle Identität sind. Interkulturelle Kontakte (durch die französische Invasion und die britische Okkupation, aber u.a. auch durch Studienaufenthalte von Intellektuellen im Ausland) bewirkten säkulare Einflüsse, auf die vor allem die ägyptischen Intellektuellen auch heute noch stolz sind. Weitere identitätsstiftende Elemente sind oder waren der Pan-Arabismus, die Rolle als Führerin der afrikanischen Welt und der Islamismus, von dem sich der Staat Ägypten allerdings nach der Islamischen Revolution im Iran abgewandt hat.
Anhand dieser beiden Nationalkulturen lässt sich leicht zeigen, wie sehr sogar Selbstbilder aus Widersprüchen zusammengesetzt sein können. Verbindendes Selbstbild der ÖsterreicherInnen und der ÄgypterInnen: Beides sind Kulturnationen, die mit großem Stolz auf ihre weit zurückreichenden Wurzeln und ihre berühmten Kulturdenkmäler, KünstlerInnen und Intellektuellen blicken, auch wenn ihnen letztere manchmal etwas unangenehm sind. So hatten und haben sowohl Elfriede Jelinek als auch Naguib Machfus in ihrem jeweiligen Inland nicht nur Freunde, wenngleich man auf sie als NobelpreisträgerInnen stolz ist.

Fremdbilder, Stereotype, Image
Sucht man mit „Google“ nach Erstinformationen zu Ägypten, stehen auch hier die Pharaonen und ihre Kultur an der Spitze der Suchergebnisse. Dicht gefolgt werden sie vom sonnigen Urlaubs-Ägypten, das Sonne, Strand und Wüstensand zu bieten hat. Ein weiteres Fremdbild ist das negative, von Bombenanschlägen und Terrorismus geprägte. Für jene, die in Ägypten ein- oder mehrmals Urlaub gemacht haben, wird aber immer das Bild jener gastfreundlichen, herzlichen Menschen mitschwingen, die sie bei ihrem Aufenthalt kennen gelernt haben.
Österreich ist das Land des Walzers, oft (gerade im arabischen Raum) auch jenes von „Sound of Music“, einem Film, der in Österreich nur wenig bekannt ist, aber sein Image nach wie vor sehr stark prägt. Ferner sind die Österreicher im „Land der Berge“ zu Hause. Auch Österreichs Seen und andere landschaftliche Schönheiten haben sich zu einem Bild verdichtet, das dem Land im Ausland viele FreundInnen und bewundernde Kommentare einbringt. Das Fremdbild Österreichs wird aber auch immer wieder mit jenem von Deutschland vermischt, wovon viele österreichische Auslandreisende wohl ein Lied singen können. Manchmal wird „Austria“ in den Vorstellungen auch zu „Australia“. Im arabischen Raum sind „innimsa“ und „Vienna“ aber immerhin auch von einer Sängerin in „Layali el onz fi vienna“ (Die glücklichen Nächte in Wien) verewigt worden.

Die Rolle der Medien
Die kommunikationswissenschaftliche Theorie des „Agenda Setting“ beschreibt die Rolle der Medien in Hinsicht auf Themen, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert werden. Entsprechend dieser Theorie haben die Medien zwar keinen großen Einfluss darauf, was die RezipientInnen zu den einzelnen Themen denken, aber darauf, über welche Themen nachgedacht wird. Kritiker meinen, dass die Theorie den Medien zuviel Macht einräumt und Informationsflüsse innerhalb von Gruppen vernachlässigt werden.
In einer Diskussion am Rande der Eröffnung der Ausstellung „Muslims in Austria“ (Kairo, November 2006) wurde denn auch die These, die Medien prägten die Bilder der Muslime, scharf kritisiert. Schließlich seien es die LeserInnen, die die Medien auswählten und sehr oft ihre eigene Meinung in die Lektüre einbrächten.
In diesem Sinne basiert die „Meinungsverstärker-Hypothese“ denn auch darauf, dass Massenmedien eher der Meinungsverstärkung dienen. Jeder wählt das Medium aus, das der eigenen Meinung weitestgehend entspricht und diese verstärkt. Als „Prinzip der Dissonanzvermeidung“ bezeichnen KommunikationswissenschafterInnen die Vermeidung von Medien (und Medieninhalten), die im Gegensatz zur eigenen Meinung stehen. Auch der Nutzenansatz (uses and gratifications approach) geht von einem (zumindest teilweise) mündigen und aktiven Medienkonsumenten aus, der in der Mediennutzung in erster Linie die Befriedigung seiner Bedürfnisse (und damit einen Nutzen) sucht.
Haben die medial vermittelten Bilder also weniger Macht über das Publikum und ihre Bilder von Menschen, Kulturen oder Nationen als man es uns oft glauben macht?
Wenn man an den dänisch-arabischen „Karikaturenstreit“ denkt, scheinen die Theorien nicht zu greifen. Auch der österreichische Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, Hans Winkler scheint das Thema anders zu sehen, wenn er in seiner Festrede zur österreichischen Auslandskulturtagung 2006 meint:
„Künstler und Wissenschaftler, sowie die Macht der Bilder und der Worte beeinflussen die öffentliche Meinung und nehmen in gewissem Maße auch Einfluss auf die Politik eines Landes, da Ereignisse durch die internationale Vernetzung innerhalb kürzester Zeit medial weltweit verbreitet werden können.“

Nation Branding
„Auslandskulturpolitik“, so Winkler weiter, „arbeitet an den Schnittstellen zwischen Image und Identität“. Wohl jedes Land wünscht sich, dass das Selbstbild (die Identität) möglichst nahe an sein Image (das Fremdbild) heranrückt. Und so, wie auch Individuen sich gegen „falsche“ Bilder zur Wehr zu setzen versuchen, versucht auch der Staat als politische Instanz ein Image einer Nation aufzubauen, das dem Selbstbild (oder zumindest dessen positiven Seiten) möglichst nahe ist. Da in Europa die Kultur(politik) immer näher an die Wirtschaft heranrückt, hat man dieser Tätigkeit der Image-Kommunikation nun den Terminus „Nation Branding“ gegeben. Ob der neue Name und neue Strategien das Image, das eine Nation im Ausland hat, wohl verändern können?

Österreich und Ägypten – zwei „Kulturnationen“
Österreich und Ägypten können eigentlich mit ihrem Selbst- und Fremdbild als „Kulturnationen“ zufrieden sein. Wenn es gelingt, das mediale und das Publikumsinteresse noch mehr auf zeitgenössische Entwicklungen zu lenken und die Diversität zu kommunizieren, die sich aus dem reichen kulturellen Erbe beider Länder entwickelt hat, kann das ohnehin schon positive Image ein wenig entstaubt werden. Ob die TouristInnen das mögen? Auch für die ÖsterreicherInnen und ÄgypterInnen, die sich viel auf Traditionen zugute halten, stellt sich die Frage, wie viel Erfrischung ihr Selbstbild verträgt. In beiden Ländern aber steht das Alte neben dem Neuen, das sich oft auf lustvolle Art mit dem kulturellen Erbe auseinandersetzt und schon allein deshalb nicht vernachlässigt werden sollte.

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Weiterführende Informationen im Internet :
Andrea Naica-Loebell: Multiple Identität junger Europäer. In: Telepolis. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23807/1.html
Arne Haselbach: On Ways and patterns of thinking “Identity”. In: Vienna Think Tank. WWW: http://www.vienna-thinktank.at/ocpi1994/94ocpi_haselbach.htm
Assem Al Desouky: Changes of the Egyptian Identity. In: Al Ahram Democracy Review. No. 23/July/2006. WWW: http://democracy.ahram.org.eg/eng/Archive/Index.asp?CurFN=selt2.htm&DID=8899 (Link inaktiv)
Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, Kulturpolitische Sektion, Referat für kulturelle Öffentlichkeitsarbeit (Hg): Auslandkulturtagung 2005. Österreich zwischen Image und Identität. WWW: http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/aussenpolitik/auslandskultur/virtuelle-galerie/auslandskulturtagung-2005.html
Wolfgang Lutz, Sylvia Kritzinger, Vegard Skirbekk: The Demography of Growing European Identity. (Science 20 October 2006: Vol. 314. no. 5798, p. 425). WWW: http://www.sciencemag.org/cgi/content/full/314/5798/425/DC1
Österreich 2005. Gesprächsrunde 18. Oktober 2005 des “Netzsymposion“. WWW: http://www.austria.gv.at/site/4491/default.aspx
Rede von Hans Winkler zur österreichischen Auslandskulturtagung 2006: Inernationale Resonanzen - Der Beitrag der Kultur zur Public Diplomacy. WWW: http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/pressenews/reden-und-interviews/2006/rede-von-staatssekretaer-dr-hans-winkler-bei-der-oesterreichischen-auslandskulturtagung-2006-am-7-september-2006.html
TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, insbes. Nr. 15: Das Verbindende der Kulturen. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/inhalt15.htm
Wikipedia: Agenda Setting. WWW: http://de.wikipedia.org/wiki/Agenda_Setting
Wikipedia: Massenkommunikation. WWW: http://de.wikipedia.org/wiki/Massenkommunikation

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Editorial zum Magazin der österreichisch-arabischen Informationsplattform „Selbstbilder und Fremdbilder der Kulturen" (2007). Abruf via wayback machine: http://web.archive.org/web/20071107144529/http://www.austro-arab.net/1_Article_German.asp?id=1

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