Selbstbilder
und Fremdbilder der Kulturen
(veröffentlicht 2007)
Interkultureller Dialog und (Kultur-)Kommunikation sind davon
mitbestimmt und bestimmen es immer wieder neu: Das Bild, das eine Kultur von
sich selbst hat, das vielfach einem Identifikationsmuster gleichkommt und damit
auch Identität bedeutet, und das Fremdbild, das Image einer Kultur, das Bild
also, dass sich die anderen von ihr machen.
National- und andere Kulturen
Was aber ist Kultur, was kulturelle Identität? Zu einfach wäre es,
Kulturen nur als Nationalkulturen zu betrachten, dennoch ist gerade das Konzept
der Nationalkultur identitätsstiftend.
Üblicherweise steht nationale Identität für einen Grundkonsens, eine
kulturelle Homogenisierung etwa durch eine Nationalsprache oder -religion.
Nationalkulturen streben Deckungsgleichheit für Kultur und Staatswesen an.
Nationalkulturen versuchen, auch verschiedenartigste Mitglieder einer
Gemeinschaft als Angehörige desselben Kulturkreises zu präsentieren. Damit kann
man ein Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen, darin liegt aber auch die Gefahr
einer Grenzziehung durch Kultur, einer Ausgrenzung des Fremden.
Wenn man versucht, die Kulturdefinitionen auf größere Räume als eine
Nation anzuwenden, ergeben sich eine Reihe von positiven Möglichkeiten und
Utopien, aber manchmal auch schiefe, unhaltbare Gegenüberstellungen wie „Der
Islam und der Westen“ – als gäbe es im Westen keinen Islam (und im Osten keine
anderen religiösen Gruppen).
Multiple
Identitäten
Multiple Identitäten schließen eine nationale Identität ein. So
schreiben die AutorInnen einer im Oktober 1996 veröffentlichten Studie zur
Demographie der Europäischen Identität in der Einleitung:
“Contrary to common belief, the development of a European identity
does not have to be accompanied by the decline of a national identity. Rather,
European integration has established a new context that people can identify
with and hence, opens up the possibility of multiple identities.”
Insgesamt identifizieren sich in Europa immer mehr Menschen sowohl mit
ihrer Nation als auch als EuropäerInnen. Sie gehören zusätzlich verschiedenen
Religionen an, definieren sich vielleicht außerdem noch als Intellektuelle oder
haben einen Freundeskreis, der zu einem Gutteil aus Internet-Bekanntschaften
aus aller Welt besteht. Auch eine solche „Community“ schafft sich ihre
kulturellen Zugehörigkeiten und stellt einen Teil der Identität des Individuums
dar.
Der arabische Raum wird einerseits durch die Sprache und andererseits
durch die islamische Kultur geeint. Dennoch gibt es auch andere religiöse
Kulturen, und das Selbstbild der Ägypter ist – anders als das vieler anderer
arabischer Länder -wesentlich stärker durch Kultur geprägt als durch
Wirtschaft.
Selbstbilder,
Identität, Mythen
Das Thema Identität, das durch das Selbstbild bestimmt wird, lässt sich
wieder am leichtesten anhand der Nationalkulturen betrachten – anhand von
Österreich und Ägypten als Beispiel.
Durch den „Habsburgischen Mythos“ (die Habsburgermonarchie war ein
multikultureller Vielvölkerstaat) hat Österreich vielleicht einen Startvorteil,
wenn es ums Denken in multiplen Identitäten geht. Da Österreich und die
ÖsterreicherInnen schon immer gut darin waren, Widersprüche auszuhalten, gibt
es zusätzlich aber etwas wie eine Mentalität des „Mir san Mir“ (hochdeutsch:
„Wir sind wir“), die sich weniger gut erklären lässt und österreichische
Weltbürger und Intellektuelle manchmal etwas weniger stolz auf sein Land sein
lässt.
Auch die ägyptische Identität stützt sich (wie jede Identität) auf
eine Reihe von Mythen. Die pharaonische Kultur, die Ägypten als „Mutter der
Welt“ mitbestimmt, fehlt in keinem Reiseprospekt und kaum je in Statements zur
Nationalkultur. Auch Religiosität (nicht nur islamische, sondern auch
christliche!) und ein starkes Beharren auf Traditionen sind für ÄgypterInnen
Elemente, die wichtig für ihre kulturelle Identität sind. Interkulturelle
Kontakte (durch die französische Invasion und die britische Okkupation, aber
u.a. auch durch Studienaufenthalte von Intellektuellen im Ausland) bewirkten
säkulare Einflüsse, auf die vor allem die ägyptischen Intellektuellen auch
heute noch stolz sind. Weitere identitätsstiftende Elemente sind oder waren der
Pan-Arabismus, die Rolle als Führerin der afrikanischen Welt und der
Islamismus, von dem sich der Staat Ägypten allerdings nach der Islamischen
Revolution im Iran abgewandt hat.
Anhand dieser beiden Nationalkulturen lässt sich leicht zeigen, wie
sehr sogar Selbstbilder aus Widersprüchen zusammengesetzt sein können.
Verbindendes Selbstbild der ÖsterreicherInnen und der ÄgypterInnen: Beides sind
Kulturnationen, die mit großem Stolz auf ihre weit zurückreichenden Wurzeln und
ihre berühmten Kulturdenkmäler, KünstlerInnen und Intellektuellen blicken, auch
wenn ihnen letztere manchmal etwas unangenehm sind. So hatten und haben sowohl
Elfriede Jelinek als auch Naguib Machfus in ihrem jeweiligen Inland nicht nur
Freunde, wenngleich man auf sie als NobelpreisträgerInnen stolz ist.
Fremdbilder,
Stereotype, Image
Sucht man mit „Google“ nach Erstinformationen zu Ägypten, stehen auch
hier die Pharaonen und ihre Kultur an der Spitze der Suchergebnisse. Dicht
gefolgt werden sie vom sonnigen Urlaubs-Ägypten, das Sonne, Strand und
Wüstensand zu bieten hat. Ein weiteres Fremdbild ist das negative, von
Bombenanschlägen und Terrorismus geprägte. Für jene, die in Ägypten ein- oder
mehrmals Urlaub gemacht haben, wird aber immer das Bild jener gastfreundlichen,
herzlichen Menschen mitschwingen, die sie bei ihrem Aufenthalt kennen gelernt
haben.
Österreich ist das Land des Walzers, oft (gerade im arabischen Raum)
auch jenes von „Sound of Music“, einem Film, der in Österreich nur wenig
bekannt ist, aber sein Image nach wie vor sehr stark prägt. Ferner sind die
Österreicher im „Land der Berge“ zu Hause. Auch Österreichs Seen und andere
landschaftliche Schönheiten haben sich zu einem Bild verdichtet, das dem Land
im Ausland viele FreundInnen und bewundernde Kommentare einbringt. Das
Fremdbild Österreichs wird aber auch immer wieder mit jenem von Deutschland
vermischt, wovon viele österreichische Auslandreisende wohl ein Lied singen
können. Manchmal wird „Austria“ in den Vorstellungen auch zu „Australia“. Im
arabischen Raum sind „innimsa“ und „Vienna“ aber immerhin auch von einer
Sängerin in „Layali el onz fi vienna“ (Die glücklichen Nächte in Wien) verewigt
worden.
Die Rolle
der Medien
Die kommunikationswissenschaftliche Theorie des „Agenda Setting“
beschreibt die Rolle der Medien in Hinsicht auf Themen, die in der
Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert werden. Entsprechend dieser Theorie
haben die Medien zwar keinen großen Einfluss darauf, was die RezipientInnen zu
den einzelnen Themen denken, aber darauf, über welche Themen nachgedacht wird.
Kritiker meinen, dass die Theorie den Medien zuviel Macht einräumt und
Informationsflüsse innerhalb von Gruppen vernachlässigt werden.
In einer Diskussion am Rande der Eröffnung der Ausstellung „Muslims in
Austria“ (Kairo, November 2006) wurde denn auch die These, die Medien prägten
die Bilder der Muslime, scharf kritisiert. Schließlich seien es die LeserInnen,
die die Medien auswählten und sehr oft ihre eigene Meinung in die Lektüre
einbrächten.
In diesem Sinne basiert die „Meinungsverstärker-Hypothese“ denn auch
darauf, dass Massenmedien eher der Meinungsverstärkung dienen. Jeder wählt das
Medium aus, das der eigenen Meinung weitestgehend entspricht und diese
verstärkt. Als „Prinzip der Dissonanzvermeidung“ bezeichnen
KommunikationswissenschafterInnen die Vermeidung von Medien (und
Medieninhalten), die im Gegensatz zur eigenen Meinung stehen. Auch der
Nutzenansatz (uses and gratifications approach) geht von einem (zumindest
teilweise) mündigen und aktiven Medienkonsumenten aus, der in der Mediennutzung
in erster Linie die Befriedigung seiner Bedürfnisse (und damit einen Nutzen)
sucht.
Haben die medial vermittelten Bilder also weniger Macht über das
Publikum und ihre Bilder von Menschen, Kulturen oder Nationen als man es uns
oft glauben macht?
Wenn man an den dänisch-arabischen „Karikaturenstreit“ denkt, scheinen
die Theorien nicht zu greifen. Auch der österreichische Staatssekretär für
auswärtige Angelegenheiten, Hans Winkler scheint das Thema anders zu sehen,
wenn er in seiner Festrede zur österreichischen Auslandskulturtagung 2006
meint:
„Künstler und Wissenschaftler, sowie die Macht der Bilder und der
Worte beeinflussen die öffentliche Meinung und nehmen in gewissem Maße auch
Einfluss auf die Politik eines Landes, da Ereignisse durch die internationale
Vernetzung innerhalb kürzester Zeit medial weltweit verbreitet werden können.“
Nation
Branding
„Auslandskulturpolitik“, so Winkler weiter, „arbeitet an den
Schnittstellen zwischen Image und Identität“. Wohl jedes Land wünscht sich,
dass das Selbstbild (die Identität) möglichst nahe an sein Image (das
Fremdbild) heranrückt. Und so, wie auch Individuen sich gegen „falsche“ Bilder
zur Wehr zu setzen versuchen, versucht auch der Staat als politische Instanz
ein Image einer Nation aufzubauen, das dem Selbstbild (oder zumindest dessen
positiven Seiten) möglichst nahe ist. Da in Europa die Kultur(politik) immer
näher an die Wirtschaft heranrückt, hat man dieser Tätigkeit der
Image-Kommunikation nun den Terminus „Nation Branding“ gegeben. Ob der neue
Name und neue Strategien das Image, das eine Nation im Ausland hat, wohl
verändern können?
Österreich
und Ägypten – zwei „Kulturnationen“
Österreich und Ägypten können eigentlich mit ihrem Selbst- und
Fremdbild als „Kulturnationen“ zufrieden sein. Wenn es gelingt, das mediale und
das Publikumsinteresse noch mehr auf zeitgenössische Entwicklungen zu lenken
und die Diversität zu kommunizieren, die sich aus dem reichen kulturellen Erbe
beider Länder entwickelt hat, kann das ohnehin schon positive Image ein wenig
entstaubt werden. Ob die TouristInnen das mögen? Auch für die ÖsterreicherInnen
und ÄgypterInnen, die sich viel auf Traditionen zugute halten, stellt sich die
Frage, wie viel Erfrischung ihr Selbstbild verträgt. In beiden Ländern aber
steht das Alte neben dem Neuen, das sich oft auf lustvolle Art mit dem
kulturellen Erbe auseinandersetzt und schon allein deshalb nicht vernachlässigt
werden sollte.
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Weiterführende
Informationen im Internet :
Andrea
Naica-Loebell: Multiple Identität junger Europäer. In: Telepolis.
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23807/1.html
Arne Haselbach: On
Ways and patterns of thinking “Identity”. In: Vienna Think Tank. WWW:
http://www.vienna-thinktank.at/ocpi1994/94ocpi_haselbach.htm
Assem Al Desouky:
Changes of the Egyptian Identity. In: Al Ahram Democracy Review. No.
23/July/2006. WWW: http://democracy.ahram.org.eg/eng/Archive/Index.asp?CurFN=selt2.htm&DID=8899 (Link inaktiv)
Bundesministerium
für auswärtige Angelegenheiten, Kulturpolitische Sektion, Referat für
kulturelle Öffentlichkeitsarbeit (Hg): Auslandkulturtagung 2005. Österreich
zwischen Image und Identität. WWW: http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/aussenpolitik/auslandskultur/virtuelle-galerie/auslandskulturtagung-2005.html
Wolfgang Lutz,
Sylvia Kritzinger, Vegard Skirbekk: The Demography of Growing European
Identity. (Science 20 October 2006: Vol. 314. no. 5798, p. 425). WWW:
http://www.sciencemag.org/cgi/content/full/314/5798/425/DC1
Österreich 2005.
Gesprächsrunde 18. Oktober 2005 des “Netzsymposion“. WWW:
http://www.austria.gv.at/site/4491/default.aspx
Rede von Hans Winkler zur österreichischen Auslandskulturtagung 2006: Inernationale Resonanzen - Der Beitrag der Kultur zur Public Diplomacy. WWW: http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/pressenews/reden-und-interviews/2006/rede-von-staatssekretaer-dr-hans-winkler-bei-der-oesterreichischen-auslandskulturtagung-2006-am-7-september-2006.html
TRANS.
Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, insbes. Nr. 15: Das Verbindende
der Kulturen. WWW: http://www.inst.at/trans/15Nr/inhalt15.htm
Wikipedia: Agenda
Setting. WWW: http://de.wikipedia.org/wiki/Agenda_Setting
Wikipedia: Massenkommunikation.
WWW: http://de.wikipedia.org/wiki/Massenkommunikation
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Editorial zum Magazin der österreichisch-arabischen
Informationsplattform „Selbstbilder und Fremdbilder der Kulturen" (2007). Abruf
via wayback machine: http://web.archive.org/web/20071107144529/http://www.austro-arab.net/1_Article_German.asp?id=1
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