Saturday, March 24, 2007

abbasseya und aguza

donnerstags verliess ich (fast) freiwillig zweimal meine wohnung. das ist an und für sich schon eine derartige seltenheit geworden, dass es erwähnung verdient. und dabei verließ ich sogar beide male meinen stadtteil!

normalerweise bewegen mich die aussichten auf das stecken im stau dazu, alle termine in die möglichst unmittelbare nähe meines wohnbezirks zu verlegen. aber ein anfall aus mitleid (mit einer erkälteten magisterkandidatin) und wagemut gab mir die power, das abenteuer gleich zweimal hintereinander zu wagen.

ich war früh aufgestanden, denn bevor ich die bereits korrekturgelesene magisterarbeit zu handke abliefern wollte, musste noch heftig in einer anderen weitergelesen werden. so wurde es denn auch halb 3, bis ich das haus verließ. aber el abbasseya ist nicht schwer zu erreichen. ich ging zur metro und fuhr nach manshiyet el sadr. wie lange habe ich das schon nicht mehr getan!

in el abbasseya fing alles an zwischen mir und ägypten. in el abbasseya habe ich am anfang gewohnt und gearbeitet - an der ain shams universität. und als ich dann in zamalek wohnte, habe ich 3 mal pro woche die metro nach manshiet el sadr genommen. voll war sie schon damals immer gewesen. am letzten donnerstagnachmittag war sie voller, als ich sie in erinnerung hatte. und es war heiss. aber im frauenwaggon gibt es auch im gedränge meistens solidarische atmosphäre. eine nötigte mich, meine tasche auf ihrem schoß abzustellen. später stand sie auf um einer frau mit baby platz zu machen und die tasche wurde der sitznachbarin übergeben. nur das aussteigen ist immer eine qual, weil prinzipiell jene bei der tür stehen, die nicht aussteigen müssen und das einsteigen immer gleichzeitig mit dem aussteigen passiert.

über abbasseya, schreibt robert solé in seinem "dictionnaire amoureux de l'égypte", fände man in keinem reiseführer mehr als eine zeile, wenn überhaupt. in abbasseya gäbe es nichts zu sehen. ich stieg in manshiyet el sadr aus und sah zunächst einmal, dass es nur eine zweite fussgängerbrücke gibt, die über die u-bahn-gleise führt. das ist zwar keine sehenswürdigkeit, aber es ist erfreulich, denn ich erinnere mich noch gut an die menschenstaus auf der brücke, die ich insgesamt nicht liebe, aber die morgens, wenn frau es eilig hat, doppelt unangenehm sein können. auf der anderen seite angekommen, freute ich mich am duft nach frischem gebäck, der dem geschäft meines lieblingsbäckers (er macht eine art hefekranz, die unserem striezel sehr ähnlich ist) entströmte. danach bog ich gleich in eines der winzigen gässchen ein, die durch den dorfähnlichen teil des stadteils führen. als abbas I, nach dem dieser stadtteil benannt ist, lebte, war hier nur wüste. abbas, ein enkel mohamed alis, hatte sich geweigert, sein land der aussenwelt zu öffnen. der dorfbezirk von abbasseya sieht so aus, als folgte man dieser politik hier noch immer: hühner und enten laufen über die straße, manchmal grasen ziegen auf dächern. keine frau sitzt je in einem der kaffeehäuser, das gemüse wird zum teil direkt vom eselskarren weg verkauft.

überquert man die gleise der straßenbahn, die es hier auch noch gibt, ändert sich das bild drastisch. plötzlich ist man mitten in einem markt. aber es ist kein gemüsemarkt, es ist ein bazar, der auf studentischen bedarf zugeschnitten ist. hier gibt es die buntesten und kitschigsten hefte, papier in allen formen und jede menge stifte. was brauchen studentInnen hier sonst noch? schals, parfüms und herzen und ähnliche gebilde aus samt und organza und mit goldstickerei werden zwischen den papierenen notwendigkeiten verkauft. der markt hat dem anwachsen der studentenzahlen rechnung getragen, indem er sich verdichtet hat. er ist größer geworden ohne an ausdehnung zuzunehmen, und so wachsen die wege zwischen den ständen ein wenig zu. wie sich das vor allem im ramadan auswirkt, wenn alle fast gleichzeitig die uni verlassen und den weg zur u-bahn oder zur straßenbahn nehmen, will ich mir erst gar nicht ausmalen. vielleicht gibt es aber auch dafür eine flexible lösung, auf die menschen aus europa gar nicht kommen würden.

nach dem markt ist die uni schon fast in sichtweite. mit der sharia khalifa ma'amun taucht auch ein ganz anderes abbasseya auf: die ain shams universität, eines der uni-spitäler und viele, viele militärische anlagen. war es vorher eng und verwinkelt, ist nun alles gross und weit. meine freundin samah wartet schon vor dem parkplatz in ihrem auto. auch sie hat nun 2 jobs und kann sich daher das auto leisten. darum muss sie auch trotz verkühlung nach unserem treffen noch zu einem termin. wir fahren ums eck, zum uni-gästehaus, wo ich am anfang meiner ägyptischen jahre gewohnt habe. wir geben uns kurzen reminiszenzen hin (mit samah war ich vor fast 5 jahren am kairo-tower, von samah habe ich gelernt, wie ich vom uni-gästehaus zur metro komme, sie fragt mich danach, wie das wohnen hier im gästehaus war). dann müssen wir schnell, schnell kurz über die arbeit sprechen (sie ist ausgezeichnet) und dann müssen wir schon wieder weg.

diesmal will ich ein taxi nehmen. nach einer weile findet sich ein taxifahrer, der bereit ist nach downtown zu fahren. das machen - wegen des dort garantiert herrschenden verkehrschaos - nicht alle. verwunderlicherweise gibt es auf der ramsis-strasse gar keinen stau. aber danach. ich habe etwas zum (korrektur)lesen mitgenommen, also ist mir das chaos draussen relativ wurscht und ich gelange leicht verschwitzt, aber in erfreulich heilem nervenkostüm wieder zu hause an.

ich rufe meinen abteilungsleiter an. er will mit mir essen gehen, es werden auch noch ein paar freunde von ihm mitkommen. ich packe neue papiere zusammen, drucke noch schnell etwas im internet-café aus und finde ein taxi nach aguza. dass davor 4 taxifahrer abgelehnt haben, hätte mir zu denken geben sollen. der tahrir-platz, das ständig voller autos pochende herz der stadt, scheint kurz vor dem stillstand zu stehen. wir schlängeln uns seitlich vorbei und stecken dann dort im stau. irgendwie geht es wieder weiter bis zur nilbrücke und dort stehen wir dann wieder mehr, als wir fahren. ich bereite ein interview mit meinem chef vor. ich sehe kaum auf, um den nilblick zu geniessen. erst auf der 2. brücke gönne ich mir einen längeren blick und denke daran, wie ich früher immer herzklopfen hatte, als ich den nil sah. oh, meine liebe zu kairo, wo ist sie geblieben?

irgendwann ist der nil überquert und damit sind wir in aguza. über aguza schreibt robert solé nichts. vielleicht wollte er ja keine worte für seinen "dictionnaire" verwenden, die nicht ins franzoesische alphabet passen. aguza beginnt mir einem "ain", einem laut, der entsteht, wenn man das a durch die zusammengepresste kehle herauswürgt. mir gelang der ain erst dann gut, als ich mir vorstellte, dass das a während des herauspressens auch noch eine eine umdrehung machen muss. ratschläge von native speakers: "it must hurt".

aguza beginnt mit der al nil-straße. diese straße, die sich den nil entlangzieht und sich leer durchaus wie eine prachtstraße ausnehmen könnte, ist am donnerstagnachmittag auto-nahkampf-gebiet. mein taxi quetscht sich zwischen den fahrzeugen durch, steht, hupt, quetscht sich weiter und landet schließlich an einer straßenecke beim "neama", einem ägyptischen fast-food-restaurant. dort bin ich mit dr. sayed verabredet. er wartet auch schon, und 3 seiner freunde ebenfalls. die männer sind zuvorkommend und überlassen mir im auto den beifahrersitz. und so bin ich schon mitten im abenteuer, denn mit 4 männern im auto zu fahren, könnte ich mir in meinem wohnbezirk nicht leisten. es ist "mish munasib", nicht angemessen. die menschen würden schlecht über mich reden und noch schlechter über meinen mann, der es zulässt, dass ich mich so benehme.

auch aguza hat eine fast dörfliche struktur: nach den hohen, palastartigen häusern am nil geht es übergangslos in kleine, verwinkelte gässchen mit meistens eher niedrigen häusern über. "aguza" heisst "alte frau" und war wohl vor langen, langen zeiten ein vorort von kairo. jetzt ist es mitten im großstadtmoloch. wir reden und fahren und schnell habe ich die orientierung verloren. wir essen im "al arabi" kebab und kofta. wie üblich sind die menschen (nicht nur die männer) fast schockiert, dass ich so wenig fleisch esse. wir sprechen deutsch und arabisch, sogar die eigentlich nicht deutsch sprechenden freunde von dr. sayed kramen worte wie "danke" und "sehr gut" hervor.

nach dem essen wollen alle gleich aufbrechen und ich habe noch immer nicht mein interview gemacht. wir beginnen auf der straße, wo wir ums auto herumstehen, weil weitere freunde angerufen werden. wir setzen im auto fort, fahren um weitere ecken und halten schliesslich vor einem ahwa (kaffeehaus). es ist ruhig genug, um vor dem ahwa zu sitzen. ich rauche seit ewigkeiten wieder einmal eine shisha und fahre fort, sayed über salzburg zu befragen. so soll ein authentischer text fürs erste studienjahr entstehen. die freunde haben sich inzwischen reduziert, dafür kommen andere - freunde oder stammgäste des ahwa - küssen die mit mir sitzenden männer und setzen sich manchmal dazu.

ich bin fertig mit interview und shisha und muss nur noch herausfinden, in welche richtung der rückweg anzutreten ist. die männer hätten mich auch dabehalten, aber ich weiss, dass sie auch gern unter sich sind und erkläre, dass ich in ägypten (fast) nach ägyptischen regeln lebe. das finden sie natürlich super und ich werde von ihnen sogar noch in ein taxi gesetzt. um halb neun bin ich zu hause: mehr als brav, zumal ja in bab el louq, wo ich wohne, niemand über meine "eskapaden" jenseits des nils weiss ;-))

3 comments:

Anonymous said...

Schön, von einer begabten Literatin wieder ein Lebenszeichen zu bekommen. Die Freude ist gross. Michael Fuchs

Gundel said...

Meinem "Vorposter" kann ich mich nur anschließen!
vielleicht ist es ganz gut, deine Schreibfähigkeiten nicht an der läppischen Doktorarbeit zu verplempern!
Jedenfalls ein Genuss! Und von meiner Seite dir einen Kuss!
Gundel

Andrea Ghoneim-Rosenauer said...

meine lieben,
danke fuer die netten worte! da bin ich gleich angespornt. freue mich aber schon auf noch persoenlichere lebenszeichen in wien,

kuesse,

niki