Monday, April 14, 2008

Was die Kulturen verbindet

Eine Gebetskette auf dem Dach der American University of Cairo
(April 2007)

Er ist in Ägypten schon längst kein Unbekannter mehr: Richard Jochum, der 1967 in Innerbraz (Vorarlberg) geborene Künstler und Philosoph, der derzeit Fellow an der Columbia University in New York ist. Schon 2005 war er auf Einladung des Österreichischen Kulturforums Kairo mit Workshops und einer Ausstellung („Playground“) in der Millionenmetropole Ägyptens präsent. Als er 2006 an der Kunst-Biennale in Alexandria teilnahm, erhielt er eine Einladung an die American University of Cairo (AUC).

Im Februar/März 2007 weihte er dort als „Distinguished Visiting Professor“ Kunst-StudentInnen und Interessierte ein: „Why contemporary art looks like it does“. Neben den Begegnungen mit StudentInnen und KollegInnen entstand das Projekt, eine überdimensionale Gebetskette auf dem Dach jenes Gebäudes zu installieren, in dem er referiert, gelehrt und künstlerische Arbeiten besprochen hatte.

„Gebetsschnüre werden in fast allen Religionen verwendet; dieser hier verbindet die 99 Gebetsperlen des Islams mit visuellen Elementen des Rosenkranzes“, meinte Richard Jochum über das Projekt: „Ich verstehe die Installation als Brücke zwischen den Religionen bzw. Kulturen; und als Ausdruck meiner Überzeugung, dass Religion letzten Endes auf individueller Frömmigkeit basiert, und nicht auf Politik.“ Die einzelnen Tongefäße wurden in einer konzertierten Aktion gemeinsam blau angestrichen – „blau, wie der Himmel, der die Installation umgibt“ – und mit Ketten verbunden. „Ich sehe auch die Stahlkette als Metapher“, so der Künstler, „sie kann uns – negativ betrachtet – aneinander fesseln, aber sie gibt uns in positiver Hinsicht Zusammenhalt.“ Das Schöne am Projekt sei nicht nur das Produkt, sondern auch der Prozess, und das heißt, die Partizipation. Wer Zeit und Lust hatte, konnte mitmachen, ob (angehender) Künstler oder nicht. Und tatsächlich war die Beteiligung, vor allem aber die Freude der Beteiligten am gemeinsamen Schaffen, enorm. Bis Ende Mai wird die Installation auf dem Dach des Falaki-Gebäudes der AUC zu sehen sein. Sie lädt die Besucher ein, ihre eigenen Gedanken in die 40 Meter lange Gebetsschnur zu projizieren, seien sie nun religiös oder nicht. Wer nicht auf das Dach der AUC steigen kann oder will, findet Informationen über das Projekt auch auf der Website von Richard Jochum (http://richardjochum.net).

Erschienen in: kultur.news (BmaA), Mai 2007. Die den Text enthalten habende URL, https://cms.bmeia.gv.at/up-media/3660_was_kulturen_verbindet_kairo.pdf, ist inaktiv.

Monday, April 7, 2008

Sind wir so, wie wir in der Literatur aussehen?

Ägypten in der österreichischen Literatur und die Rezeption dieses Bildes durch ÄgypterInnen

In den Jahren 2000-2003 sind vier Werke von österreichischen Schriftstellern erschienen, deren Handlung sich in Ägypten entwickelt. Christoph Brändle thematisiert in „Der Unterschied zwischen einem Engel“ vor allem das Reiseland Ägypten. Gerhard Roth lässt seinen Protagonisten in „Der Strom“ einen mysteriösen Todesfall am Nil untersuchen. Walter Grond begibt sich in seinem Roman „Almasy“ auf eine mehrfach gebrochene Suche nach Spuren von Ladislaus Almasy und Raoul Schrott empfindet in „Khamsin“ erzählend eine historische Begebenheit in der Wüste nach.

Mehr als die Pyramiden – ein neues Ägyptenbild

Diese vier Werke der österreichischen Gegenwartsliteratur zeigen sehr unterschiedliche Sichtweisen auf Ägypten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ein Bild vermitteln, das den Leserinnen vor Augen führt, dass Ägypten mehr zu bieten hat als Pyramiden, das Tal der Könige und die Sphinx. In allen Werken nehmen die Schilderungen fremdartiger Landes- und Städtebilder einen breiten Raum ein, entführen die Leserin in einen gut beobachteten und beschriebenen Raum, der auch dazu angetan scheint, ein neues Bild von Ägypten zu zeichnen. Gerade diese genauen Beobachtungen des Fremdartigen scheinen jedoch eher den alten durch einen neuen Exotismus zu ersetzen. Eine Annäherung an das moderne Ägypten und seine (Alltags-)Kultur findet – besonders in den Werken von Schrott, Roth und Braendle – kaum statt.

Allen Werken außer jenem Walter Gronds fehlt ein Zugang zu einem Ägypten, das aus Menschen besteht, die mehr sind als malerische Fremde. Und selbst Walter Grond hat sich einer Reihe von Klischeebildern nicht entziehen können, wenngleich diese Klischees durch die Vielfalt an Personen, die er in seinem Roman agieren lässt, ein wenig gebrochen werden.

Wie sehen ÄgypterInnen diese Bilder?

Viele ägyptische LiteraturwissenschafterInnen sind nicht nur neugierig darauf, wie sie und ihr Land von anderen gesehen werden, sondern nehmen auch das Bild, das vermittelt wird, auch sehr kritisch und sensibel auf.
Um diese Auseinandersetzung zu ermöglichen, wählte ich Textstellen aus drei der genannten Werke als Basis für einen Workshop zum „Ägyptenbild in der österreichischen Literatur“, der am 21. November 2004 im österreichischen Kulturforum Kairo stattfand. 18 TeilnehmerInnen hatten sich eingefunden – nicht nur Germanistinnen und Germanisten von fast allen Kairoer Universitäten, sondern unter anderem auch eine (deutsche) Kollegin von der Friedrich-Maimann-Stiftung, einige österreichische „Expatriotes“ sowie zwei JournalistInnen.

Die TeilnehmerInnen wurden eingeladen, zumindest zwei der Texte vergleichend zu lesen. Das erwies sich als ausreichend, um nach einer halben Stunde Lektüre eine sehr lebhafte Diskussion zu starten.

Ein Student der Al-Azhar-Universität berichtete mit Begeisterung seine Leseerlebnisse mit dem Text von Walter Grond. Er fand es unter anderem „prima“, dass die erste Figur in der Lesestelle ein „Scheichsohn“ war, womit für ihn bereits der Hinweis gegeben war, wie sehr auch europäische Schriftsteller Kultur und Bildung hochschätzten. Die Diskussion konfrontierte die ägyptischen Teilnehmenden dann allerdings damit, dass in Europa „Scheichs“ in erster Linie als reich und mächtig und nicht als Religionsgelehrte (was sie eigentlich sind) verstanden (und beschrieben) würden, und dass auch die Figur des Scheich Abdul im Roman „Almasy“ dabei keine Ausnahme darstellt.

Viele Lektüreberichte der ägyptischen TeilnehmerInnen waren sehr stark daran orientiert, herauszustellen, was an den Darstellungen „stimme“ und was nicht. Diskutiert wurde daher auch, welches Recht Fiktion hätte, nicht „richtig“ zu sein. Die Darstellungen wurden von den anwesenden ÄgypterInnen durchaus als Chance gesehen, „uns mit den Augen anderer zu sehen“, aber es wurde auch festgehalten, dass bereits die Orientalisten damit begonnen hätten, „ein falsches Ägyptenbild zu vermitteln“, und dass diese „Tradition“ in der Literatur nun offensichtlich fortgesetzt würde.
Wer ist „schuld“ an den Bildern?

Der Text von Christoph Braendle stieß – auch unter den anwesenden Auslandsdeutschen und -österreicherinnen – auf die heftigste Ablehnung, weil ein sehr klischeehaftes Ägyptenbild gezeichnet würde. In der Lesestelle, in der sich der Protagonist auf dem Khan-el-Khalili-Bazar umsieht, wird er von Expatriotes fürsorglich betreut. Als er auf eigene Faust eine Wasserpfeife ersteht, ist dies nicht nur seine einzige Interaktion mit einem Ägypter, er handelt auch nicht gerade den besten Preis für seinen Kauf aus. Klischeehaft oder nicht – Braendle zeichnet hier durchaus liebevoll das nach, was Touristen wohl tatsächlich täglich erleben, wenn sie das Land bereisen... Beim Sprechen über den Text kam es auch zu interessanten Auseinandersetzungen darüber, ob die Ägypter selbst daran schuld seien, wenn schlecht über sie geschrieben würde.

Im Vergleich mit Gerhard Roths Protagonisten, der in einem Vorort von Kairo aussteigt um zu fotografieren und dabei Geld verteilt, wurde auch die Haltung von EuropäerInnen als Reisende in „armen“ Ländern zum Thema. Andererseits konnte dann im Rückgriff auf einzelne Passagen auch herausgearbeitet werden, dass vielleicht gerade die Überzeichnung der Handlungen der Rothschen Hauptfigur auch einiges an selbst- bzw. tourismus-kritischem Potenzial beinhalte.

Kairo – die Stadt der Gegensätze

Schließlich wurde noch das Bild Kairos zum Diskussionsgegenstand. Ein Kollege von der Ain Shams-Universität fand Kairo als „die Stadt der Gerüche“ in allen Texten sehr gut gezeichnet. Eine weitere Kollegin zeigte (zunehmend assistiert von weiteren Teilnehmenden) auf, dass das Kairo-Bild in allen Texten eigentlich sehr differenziert wäre: das Schöne neben dem Verfallenen, die Luftverschmutzung neben den herrlichen Ausblicken, das schimmernde Wasser des Nils als Ausgangspunkt für eine Fahrt in eine Vorstadt, in der Kinder „auf dem von Tiermist übersätem Asphalt“ spielen...
Der Workshop bot eine gute Gelegenheit, Selbst- und Fremdbilder miteinander zu vergleichen. Für die Initiatorin war er ein Erlebnis aus Stimmen zu literarischen Bildern.

Die Autoren und ihre Texte mit Ägyptenbezug:

Christoph Braendle wurde 1953 in Bern (Schweiz) geboren. Seit 1987 ist er freiberuflicher Autor und Journalist. Er lebt in Wien (Österreich).
Bio-bibliographische Information im WWW:
http://lexikon.a-d-s.ch/edit/detail_a.php?id_autor=214
Er zeichnet ein Ägyptenbild in: Der Unterschied zwischen einem Engel. Ägyptische Novelle. Wien: Picus, 2000 (=Picus Lesereisen).
Beim Workshop wurden als Textauszug die Seiten 18-21 aus diesem Buch gelesen.

Walter Grond (geboren 1957) studierte Geschichte in Graz. Er lebt in Aggsbach Dorf (Österreich).
Bio-bibliographische Information im WWW:
http://www.grond.cc/
Er zeichnet ein Ägyptenbild in: Almasy. Roman. Innsbruck: Haymon, 2002.
Beim Workshop wurden als Textauszug die Seiten 262-267 aus diesem Buch gelesen.

Gerhard Roth (geboren 1942) studierte Medizin, bis er seine Studien aufgab um Schriftsteller zu werden. Er lebt in der Südsteiermark (Österreich) und Wien (Österreich).
Bio-bibliographische Information im WWW:
http://www2.onb.ac.at/sammlungen/litarchiv/bestand/sg/nl/roth.htm
Er zeichnet ein Ägyptenbild in: Der Strom. Roman. Frankfurt/Main: S.Fischer, 2002.
Beim Workshop wurden als Textauszug die Seiten 50-55 aus diesem Buch gelesen.

Raoul Schrott (geboren 1964) studierte Literatur- und Sprachwissenschaften in Norwich, Paris, Berlin und Innsbruck. Er lebt in Landeck (Österreich) und Cappahglass (Irland).
Detaillierte biographische Information im WWW:
http://webapp.uibk.ac.at/brennerarchiv/tirlit.xsql?zeitraum=alle®ion=alle&string=schrott&id_in=802#802
Er zeichnet ein Ägyptenbild in: Khamsin. Frankfurt/Main: S. Fischer, 2002. Im Buch: Khamsin. Erzählung, S.9-[27] und Die Namen der Wüste. Essay, S.31-60.


Dieser Text erschien 2007 im Magazin der österreichisch-arabischen Informationsplattform (http://www.austro-arab.net) zum Schwerpunktthema „Selbstbild und Fremdbild der Kulturen“.

Andrea Ghoneim-Rosenauer, Mag., war von 2002-2007 Österreich-Lektorin an den Deutschabteilungen der Ain Shams Universität (Kairo), der German University of Cairo und der Al Minia Universität (Oberägypten). Publikationen vor allem im Bereich Literatur im Internet. Dissertationsprojekt an der Universität Wien: Literarische Publikationsformen im WWW (die Arbeit ist abgeschlossen, Verteidigung voraussichtlich im Juni 2008).